1. Was waren Ihre Beweggründe/Motivation für die Promotion? Warum haben Sie sich für die Promotion entschieden?
Die Promotion bietet hervorragende Gelegenheit, sich nach dem intensiven und auch erschöpfenden Lernen für die erste (oder zweite) Staatsprüfung endlich einmal selbständig mit einem interessanten juristischen Thema eingehender zu beschäftigen. Mehr als in anderen Ausbildungsabschnitten erlaubt die Dissertation, der eigenen Neugier in einem selbstgewählten Kontext zu folgen und der Arbeit (in Aufbau, Stil und Schwerpunktsetzung) auch eine persönliche Note zu verleihen. Ich habe promoviert, weil ich mit der Aussicht auf einen attraktiven akademischen Grad das enge Korsett des Studienplans ablegen und etwas Eigenes auf die Beine stellen konnte.
2. Wann wussten Sie, dass Sie promovieren möchten?
Im Grundstudium gab es früher noch mehr als heute freiwillige Seminare, bei denen Interessierte sich selbst eines zahlreicher ausgeschriebener Themen zur Bearbeitung aussuchen konnten. Der besondere Reiz bestand darin, sich statt des üblichen passiven Lernkonsums einmal aktiv mit einer fachlichen Problematik auseinanderzusetzen und sich anschließend in der Gruppe lebendig darüber auszutauschen. Der Besuch solcher Seminare zeigte, dass es sehr herausfordernd und gewinnbringend ist, sich individueller als in Klausuren und Hausarbeiten mit größeren juristischen Zusammenhängen zu beschäftigen und eigene Gedanken anderen verständlich und nachlesbar zu machen. Schon damals konnte ich mir vorstellen, später auch zu promovieren. Die Gewissheit kam nach dem Examen, als auch die Rahmenbedingungen sich günstig erwiesen.
3. Wie haben Sie Thema und Betreuer für Ihre Dissertation gefunden?
Schon als Student war ich bei Professor Katzenmeier am Institut für Medizinrecht beschäftigt, der sich auch als Doktorvater gewinnen ließ. Nach einer Phase allgemeiner Einarbeitung in arztrechtliche Fragen – und dank der Kontakte des Instituts in die Berufspraxis – fand (m)ich bald mein Promotionsthema.
Wann haben Sie promoviert – nach dem ersten oder zweiten Examen? Berufsbegleitend?
Nach der ersten Staatsprüfung. Neben der Promotion war ich als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Medizinrecht tätig.
4. Welchen Anspruch hatten Sie an die eigene Dissertation?
Die Arbeit soll einen Themenkomplex möglichst sachlich und verständlich darstellen, der zuvor in umfassender Weise noch nicht durchdrungen war. Das Medizinrecht als juristische Querschnittsmaterie mit Nähe zur medizinischen Berufspraxis und der äußerst kontroversen Gesundheitspolitik bringt dabei den Anspruch mit sich, dass auch Fachfremde die Zusammenhänge nachvollziehen können. Auch bei solcher transdisziplinären Wahrnehmung soll die Dissertation gleichwohl juristisch-dogmatischen Erwartungen an eine wissenschaftliche Abhandlung gerecht werden. Schließlich wollte ich neben der themenspezifischen Darstellung und Anwendung allgemeiner Erkenntnisse das geltende Recht problembezogen bewerten und eigenständige Lösungsansätze für ausgemachte Problemfelder entwickeln.
5. Was sollte eine Dissertation Ihrer Meinung nach leisten?
Sie soll prägnant und umsichtig ein lebensnahes Problem analysieren, eingängig die relevanten normativen Bezugspunkte herstellen und strukturieren, dazu problembezogen jeweils fundiert den aktuellen Stand der Rechtswissenschaft darstellen und kritisch hinterfragen sowie idealerweise schließlich originelle eigene Ideen entwickeln oder neue normative Zusammenhänge erschließen.
6. Was haben Sie während der Zeit, in der Sie die Arbeit geschrieben haben, als besonders prägend (positiv und negativ) empfunden?
Ich habe, auch beschäftigungsbedingt, einige Zeit für die Dissertation gebraucht. In konkreter Hinsicht ist mir dabei positiv aufgefallen, dass sich bestimmte normative Zusammenhänge nur (oder besser) erschließen lassen, wenn man sie länger im Unterbewusstsein verarbeitet hat. Manche Erkenntnisse und gute Ideen kommen irgendwann von ganz allein, sie lassen sich nicht mit einem festen Zeitplan verordnen.
Eher generell geprägt haben mich praktische Erfahrungen bei der Entstehung der Arbeit. Ziemlich zu Beginn der Dissertation durfte ich einmal Zwischenergebnisse im Kreis von Berufspraktikern vorstellen. Dabei hat mich erstaunt, zu sehen, wie detailliert einerseits unser Leben theoretisch durchnormiert ist, wie grob (oder unzutreffend) die Alltagspraxis aufgrund mangelnder Kenntnis das Recht aber wahrnimmt und umsetzt. Die Examina verlangen von uns Rechtskunde in unermesslicher Stofffülle, während das wahre Leben und (Rechts-)Politik oft ganz eigenen Abläufen, Fakten und pragmatischen Überzeugungen folgt. Schnell war zu merken, dass reine Rechtsanwendung und Rechthaberei nicht weit tragen. Wir müssen immer wieder aufs Neue ganz gelassen für das Recht werben. Dass es in der Lebenswirklichkeit kein Selbstläufer und der Rechtsstaat fragil ist, muss man als Hochschulabsolvent in der Berufswelt erst lernen und dazu viel Demut aufbringen.
7. Promotionsstudent/in oder Wissenschaftler/in? Wie haben Sie sich selbst als Doktorand/in eingeschätzt? Und wie hat Ihr Umfeld Sie wahrgenommen?
Um meine Außenwahrnehmung habe ich mir keine Gedanken gemacht, sondern mich auf die Arbeit konzentriert. Solange die Dissertation nicht fertiggestellt ist, muss sie doch allen als hoffnungsfrohes Vorhaben gelten – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Selbst im Nachhinein nehme ich mich als Promotionsstudent wahr. Auch wenn ein solcher wissenschaftliche Verantwortung trägt, entscheidet über seine fachliche Wahrnehmung nicht er selbst. In Zeiten unübertroffenen Informationsüberflusses muss es als großes Glück oder Zufall gelten, wenn die Dissertation rezipiert wird. Das ist aber nicht schlimm – letztlich bleibt es eine Qualifikationsschrift. Sie kann einen Forschungsbeitrag leisten, auch ohne später Teil des wissenschaftlichen Diskurses zu werden.
8. Wie sehen Sie die in Deutschland gegenwärtig anhaltende Diskussion, die um die Dissertation und die Einhaltung wissenschaftlicher Arbeitsstandards geführt wird?
Wie häufig in der öffentlichen Debatte lässt sich der Diskussionsgegenstand nur schwer konturieren. Steht wirklich die Akzeptanz des Doktorgrades schlechthin in Frage oder geht es um Missbilligung einzelner Missbrauchsfälle? Bedarf handwerklich schlechte Arbeit tatsächlich einer Sanktion oder soll eine Gesinnung des Promovierens allein aus merkantilem Interesse am Doktorgrad als verwerflich gebrandmarkt werden? Schließlich: Ist die Funktionsfähigkeit der Wissenschaft in Gefahr oder lediglich das Anstandsgefühl des aufgewühlten „Normalverbrauchers“ berührt? Mit allgemeiner Empörung ist der Sache kaum Rechnung zu tragen. Gäbe es klar normierte wissenschaftliche Arbeitsstandards, deren Beachtung sich gutachterlich mit einiger Gewissheit feststellen ließe, wäre jede Übertretung zweifellos ein Skandal. Allein: Es fehlt an solchen verbindlichen Regeln oder an der erforderlichen Klarheit. Deshalb ist eine überzeugende Positionierung schwer möglich, wie im weiteren Zusammenhang übrigens auch das andauernde Ringen um Open Access, Urheber-, Verlags- und Verwertungsrechte zeigt.
Unabhängig davon halte ich es für eine verbindliche ethische Obliegenheit jedes Doktoranden, seine Arbeit redlich anzugehen und niederzulegen. Wer erfolgreich wissenschaftlich rezipiert werden will, muss originell sein. Solche Originalität lässt sich aber durch keine Arbeitsstandards verordnen, weshalb es immer „gute“ und „schlechte“ Dissertationen geben wird. Ob schlechte Dissertationen wirklich so viel Schaden anrichten, wie gemeinhin behauptet, ist schwer erweislich. Eine gute Dissertation dürfte hingegen so viel Originalität mitbringen, dass sie auch keines prüfungsamtlichen Gütesiegels bedarf. Über den Erfolg einer Arbeit in Wissenschaft und Fachwelt entscheiden letztlich keine kleinteilig-subsumtionsfähigen Indikatoren, sondern die Fachwelt selbst.
9. Über welche Eigenschaften und Fähigkeiten sollte man als Doktorandin bzw. Doktorand Ihrer Meinung nach verfügen?
Neugier, Besonnenheit, Ausdauer, Empathie, (auch Selbst-)Zweifel, Kritikfähigkeit und Mut.
10. Was würden Sie aus heutiger Sicht anders machen?
Auch wenn ich oben dafür plädiert habe, sich für die Dissertation ausreichend Zeit zu lassen: Die Arbeit „mit ins Referendariat zu nehmen“, ist ein großer Fehler, vor dem ich warnen möchte. Auch, wenn es „nur noch die Zusammenfassung“ zu schreiben gilt. Weder die Dissertation, das Referendariat noch man selbst gewinnt unter einer solchen Vielfachlast.
11. Was würden Sie jemandem empfehlen, der gerade am Anfang des Promotionsvorhabens steht?
Als Promotionsthema eignet sich in der Rechtswissenschaft alles und nichts. Die Ausbreitung eines einzigen Tatbestandsmerkmals kann bei gelungener Darstellung genauso vielversprechend sein wie eine rechtsvergleichende Analyse eines ganzen Rechtsgebietes. Überlegen Sie also, welche fachlichen Fragen Sie sich schon immer gestellt haben; wo Unklarheiten der Rechtsanwendung Sie besonders nachdenklich gestimmt haben; ob Sie sich in Neuland vortasten, um es für sich und andere wegbar zu machen.
Fremde Dissertationen, die Ihnen auf den ersten Blick gefallen, können Hinweise auf eine gekonnte Herangehensweise geben. Schauen Sie sich ein paar Dissertationen an und überlegen kurz, ob Ihnen die Gliederung gefällt und die Lektüre der Zusammenfassung Lust auf einen tiefergehenden Einstieg in das Thema weckt. Achten Sie auf Art, Breite oder Tiefe der Darstellungen. Genauso, wie Sie dieser erste Eindruck abschreckt oder anzieht, wird es später den Lesern und vermutlich auch Gutachtern Ihrer Arbeit gehen.
Nun lassen Sie sich von gelungenen Arbeiten inspirieren. Gliedern Sie Ihr Vorhaben mit Bedacht und nicht zu ausschweifend. Beim Schreiben gilt es, sich nicht aus dem Konzept bringen zu lassen, dabei aber zu versuchen, die Arbeit immer auch aus der Distanz eines Unvoreingenommenen oder späteren Lesers zu sehen. Je mehr Sie Ihre Zielgruppe im wissenschaftlichen Kontext sehen, desto mehr Vorkenntnisse dürfen Sie als bekannt voraussetzen und müssen Sie nicht wiederholen. Wenn Sie unsicher sind, können Sie Grund- und Zusatzinformationen im Fußnotenapparat unterbringen. Achten Sie auf einen packenden Lesefluss, auch wenn Jura keine Belletristik ist. Damals wie heute erweist sich schließlich als zutreffend: „Und minder ist oft mehr.“ (Wieland, Der teutsche Merkur, Neujahr 1774).